Wer unterschreibt heutzutage, in Zeiten extremer Turbulenzen und Konflikte, schon einen „Vertrag über ewige gutnachbarschaftliche Beziehungen, Freundschaft und Kooperation“? Genau das taten China und die fünf zentralasiatischen Staaten Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan am 17. Juni 2025. Dies steht in einem starken Kontrast zu den Regionen Südwestasien/Naher Osten, von wo heute neben der Ukraine die größte Gefahr für einen globalen Flächenbrand ausgeht. Zentralasien grenzt im Westen an den Iran, im Norden an Russland, im Osten an China und im Süden an Afghanistan und Pakistan. Angenommen wurde der Vertrag in Astana, der Hauptstadt des in der Region flächengrößten Landes Kasachstan, wo das zweite Zentralasien-China-Gipfeltreffen der Staatschefs erfolgreich zu Ende ging. Der von allen sechs Teilnehmerstaaten unterzeichnete Vertrag wurde als historische Wegmarke gefeiert. Die rohstoffreiche Region exportiert vorwiegend Bodenschätze nach China, darunter Rohöl, Erdgas, Kupfererz, seltene Erden und landwirtschaftliche Produkte. Im Gegenzug liefert der Wirtschaftsgigant Industrie- und Konsumgüter. Doch dabei soll es nicht bleiben. Das Gebiet soll infrastrukturell entwickelt werden. China soll dazu das notwendige Know-how bereitstellen.
Zentralasien ist ein wichtiger Baustein von Beijings internationaler Entwicklungsstrategie der Neuen Seidenstraße. China hat große Summen in Energie-Pipelines und Bergbauprojekte in der Region investiert. Mit dem turkmenischen Präsidenten Serdar Berdimuhammedow wurde auf dem Gipfel in Astana die Ausweitung von Erdgaslieferungen verhandelt. Durch die Region verläuft die Zentralasien-China-Gasleitung, eine der weltweit längsten ihrer Art und wichtige Lebensader für Chinas Energiesicherheitsstrategie. Turkmenistan und Usbekistan gehören zu den großen Erdgasproduzenten, während Kasachstan der führende Erdölexporteur ist. Ein wichtiges strategisches Ziel Pekings ist es mithin, seine Energiezufuhr von befreundeten Staaten über sichere Landwege zu erhalten. Damit soll das Risiko eines Ausfalls von Energieimporten, beispielsweise durch die Sperrung der Straße von Hormus, Piraterie in der Straße von Malakka oder Störmanöver durch westliches Militär im Südchinesischen Meer, schrittweise umgangen werden. Das Handelsvolumen zwischen China und den zentralasiatischen Ländern erreichte im Jahr 2024 mit 95 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekord, was einer Steigerung von fünfeinhalb Milliarden Dollar im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Bereits vor Beginn des Gipfeltreffens sollen China und Kasachstan Handelsdeals in der Größenordnung von 24 Milliarden US-Dollar abgeschlossen haben, die meist im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI), also der Neuen Seidenstraße, umgesetzt werden sollen. Dieses Projekt spielt eine zentrale Rolle in den bilateralen und multilateralen Beziehungen beider Seiten. Alle zentralasiatischen Länder haben ein Kooperationsabkommen mit der BRI unterzeichnet.

Die sechs Staatschefs unterzeichneten auch einen gemeinsamen Aktionsplan für die BRI-Kooperation zwischen China und den zentralasiatischen Staaten. Es ist das erste Mal, dass China mit einer ganzen Staatengruppe gleichzeitig BRI-Kooperationsdokumente signiert. Für die nächsten zwei Jahre wurden rund 200 Millionen Dollar an chinesischer staatlicher Unterstützung für Projekte und den Austausch unter den Menschen zugesagt. Die Schwerpunkte liegen auf reibungslosem Handel, Industrieentwicklung, Konnektivität, nachhaltigem Mineralienabbau und landwirtschaftlicher Modernisierung. Der kasachische Staatspräsident Tokajew sprach von einem Pfad der gemeinsamen High-Tech-Zukunft. Es sollen gemeinsame Forschungslabore und eine Ingenieursakademie errichtet werden, um die Erfahrungen der größten Technologie-Giganten Chinas weiterzugeben. Auch Usbekistan ist an einer Verstärkung der Kooperation in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur interessiert. China ist mittlerweile der Haupthandelspartner und führende Investor in Usbekistan. Das Land möchte durch Investitionen und Handel in den nächsten fünf Jahren das gleiche Ziel wie China erreichen, nämlich die vollständige Beseitigung von Armut und Rückständigkeit. Dazu soll die grundlegende Infrastruktur in den Bereichen Verkehr, Wasser, Eisenbahn, Logistik und Sicherheit verstärkt ausgebaut werden.
Eiserne Seidenstraße
Auf 3750 Metern über dem Meeresspiegel schlängeln sich derzeit immer mehr Lastwagen über die Grenze zwischen China und Kirgisistan. Der Handel zwischen den beiden Staaten boomt. Deshalb soll hier bald zusätzlich eine Eisenbahnlinie verlaufen.
Der Ausbau der Konnektivität zeigt sich besonders augenfällig bei der Entwicklung des Grenzhafens Khorgos zwischen der chinesischen Autonomen Region Xinjiang und Kasachstan. Über diesen Grenzübergang, der mittlerweile zu einer 5,6 Quadratkilometer großen Logistik- und Freihandelszone angewachsen ist, gehen täglich 600 Transportfahrzeuge, die Dinge des täglichen Bedarfs aus China nach Zentralasien und in Richtung Russland liefern. Hier werden vor allem auch chinesische Elektroautos exportiert. Die Zollabfertigung dauert nicht mehr wie früher drei Tage, sondern lediglich sechs Stunden und wird im Drei-Schicht-Betrieb unter Verwendung von QR-Codes erledigt. Zwischen Januar und März dieses Jahres wurden laut Angaben der Behörden 75.000 chinesische Fahrzeuge geliefert, was einem Anstieg von fast 14 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Auf den Straßen von Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe sieht man nun mehr und mehr Automarken wie Zeekr und Chery statt VW und Opel. Ab Herbst 2025 müssen dort übrigens alle Taxis elektrisch fahren. In Kasachstan hat sich der Kauf chinesischer Elektrofahrzeuge im Jahr 2024 mehr als verdreißigfacht. In Usbekistan produziert man seit Januar 2024 Autos der chinesischen Top-Marke BYD.
Khorgos hat eine lange Geschichte und war bereits zur Zeit der alten Seidenstraße ein beliebter Handelsort. Mit der im Jahr 2013 ins Leben gerufenen „Belt and Road Initiative” wurde dieser Übergang mitsamt einer Eisenbahnstrecke in Richtung Russland und Europa neu belebt. Während 2014 vielleicht zwei bis drei Züge täglich hier durchfuhren, sind es heute über 20. Mehr als 45.000 Züge haben bereits über den Knotenpunkt Khorgos 46 Städte in 18 Ländern angefahren, darunter in Zentralasien, Russland und Europa. Zwar gibt es unterschiedliche Spurweiten zwischen China und den ehemaligen Staaten der Sowjetunion, doch das sogenannte „Container Swapping” dauert lediglich drei Stunden. Ein weiteres Highlight ist, dass genau in diesen Tagen der Bau der Eisenbahnstrecke China-Kirgisistan-Usbekistan beginnt. In fünf Jahren sollen dann Frachtzüge über eine moderne Strecke vom chinesischen Ort Kaschgar nach Kirgisistan und weiter nach Usbekistan fahren. Von dort aus können die Waren auf dem Mittleren Korridor der Neuen Seidenstraße in den Kaukasus, in die Türkei und schließlich auf einer alternativen Route nach Europa gelangen. Der Mittlere Korridor rückt zunehmend in den Fokus chinesischer und westlicher Investitionen.
Die Strategie des Mittleren Korridors
Kürzlich kündigte ein Vertreter der aserbaidschanischen Eisenbahn an, dass eine Güterbahnstrecke im Osten Georgiens bald vollständig ausgebaut sein wird. Warum ist das wichtig? Die Bahnstrecke ist Teil der Güterverbindung zwischen Aserbaidschan, Georgien und der Türkei, der Baku-Tiflis-Kars-Bahn, auch BTK genannt. Die BTK wiederum ist ein entscheidendes…
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Zusammenarbeit in der Wasserwirtschaft. Zentralasien steht vor großen Herausforderungen, was die Verfügbarkeit und Verteilung der Süßwasserreserven aus ihrem Flusssystem betrifft. Die Flüsse Syrdarja und Amudarja stehen aufgrund des erhöhten Bedarfs für die Bewässerung unter Druck. Dies sind die Hauptwasserquellen für Kirgistan und Tadschikistan, während auch Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan sehr stark von dem Wasser dieser Flüsse abhängig sind. China will als Technologiepartner dabei helfen, Bewässerungssysteme zu modernisieren, Staudämme zu bauen, ein hydrologisches Monitoring zu betreiben und Daten zu teilen. Zudem soll gemeinsam in Bewässerungskanäle und kleine Wasserkraftwerke investiert oder bestehende Anlagen modernisiert werden. Dazu sollen agroindustrielle Parks und ein Zentrum für Agrartechnologie entstehen. Außerdem sollen neue Maschinen, Systeme zur Tröpfchenbewässerung, angepasstes Saatgut und Düngemittel eingeführt werden.
Offensichtlich ist Zentralasien mit seiner gigantischen Landfläche und seinen enormen Ressourcen und Potenzialen von enormer geostrategischer Bedeutung. Zwar gibt es auch Kooperationen mit den USA, der EU und Südkorea, doch die Zusammenarbeit zwischen Zentralasien und China scheint auf einem festen Fundament des gegenseitigen Respekts und Vertrauens zu basieren. Dafür stehen nicht nur die Seidenstraßen-Abkommen und Freundschaftsverträge, sondern vor allem die vielen konkreten Maßnahmen zur Entwicklung dieser Region, die als das Herzland und der Ursprung der alten Seidenstraßen bekannt ist.
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Mein Interview mit Auf1 TV über die Multipolare Weltordnung:
https://auf1.tv/nachrichten-auf1/der-globale-umbruch-wie-das-imperium-des-westens-zerbroeckelt