VAE - von der Kolonie zur Führungsmacht
Exklusivbericht von Ramon Schack aus den Vereinigten Arabischen Emiraten
Der Autor Ramon Schack hat kürzlich anlässlich einer großen Fotoausstellung das BRICS-Land Vereinigte Arabische Emirate (VAE) besucht. Seine Eindrücke und Gespräche über die enormen Veränderungen und die neue geostrategische Position der VAE schildert er exklusiv für Die Multipolare Welt.
Zur Person: Ramon Schack ist freier Journalist in Berlin. Als Korrespondent berichtete er unter anderem aus dem Iran, Irak, El Salvador, Ecuador, den USA und Neuseeland, Russland, Armenien, der Ukraine und Äthiopien. Sein jüngstes Buch heißt „Das Zeitalter der Idiotie - Wie Europa seine Zukunft verspielt“ (2023). Derzeit arbeitet er an seinem neuen Buch "Wagenknechts Wagnis - Momentaufnahmen einer neuen politischen Kraft".
"Nein, ich habe es nie bereut, hierher gekommen zu sein."
Ein Besuch in Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten
Schon am frühen Morgen herrscht Hochverkehr. Samir steuert seinen Mercedes-Benz Viano, mit dem er regelmäßig die internationalen Gäste des Emirats vom Hotel zum jeweiligen Veranstaltungsort chauffiert, souverän durch den dichten Verkehr. Schardscha, in der englischsprachigen Welt als Sharjah bekannt, ist eines der sieben Emirate der Vereinigten Arabischen Emirate/VAE, dabei weit weniger bekannt als Dubai oder Abu Dhabi.
Es ist Ende Februar, für heute werden über 30 Grad erwartet. Samir, der aus Bangladesch stammt, kam vor 14 Jahren an die Küste des Persischen Golfs "Tja, fast ein halbes Leben bin ich jetzt schon hier", sinniert der 31jährige lächelnd, während seine Hände locker am Lenkrad ruhen. Früher hat er auf dem Bau gearbeitet und kann noch heute ein Lied von den extrem harten Konditionen dort singen. Seine Frau und der sechsjährige Sohn leben in Bangladesch. Höchstens zweimal im Jahr trifft er seine Familie, unterstützt diese aber finanziell, schon den ganzen Zeitraum über seines Aufenthaltes hier.
Samir drückt aufs Gaspedal. In der Ferne zeichnet sich die Skyline von Dubai am Horizont ab. Darunter ist auch das höchste Bauwerk der Welt zu erkennen, der Burj Khalifa, der wie eine Nadel fast 900 Meter in den Himmel ragt. "Der Wagen läuft auf Kredit, ist aber fast abbezahlt", berichtet der Bangladeschi, der mit einem dunkelblauen Anzug zum schneeweißen Hemd elegant gekleidet ist. "Mein Anzug täuscht darüber hinweg, dass ich mir in Dubai eine Einzimmerwohnung mit 8 anderen Männern teile."
Sharjah, eines der 7 Emirate der VAE
Der Weg führt an Hochhäusern und Baustellen vorbei. Sharjah, die Hauptstadt des gleichnamigen Emirats gehört zu den am schnellsten wachsenden Städten in den VAE, was auch daran liegen mag, dass die Lebenshaltungskosten deutlich geringer sind als in Dubai oder den anderen Emiraten. "Nein, ich habe es nie bereut, hierher gekommen zu sein, obwohl das Leben für uns Einwanderer kein Zuckerschlecken ist!" Samir gehört zu der absoluten Bevölkerungsmehrheit in den Emiraten, die sich zu über 90% aus Migranten zusammensetzt, aber kaum über irgendwelche Rechte verfügt, schon gar nicht über staatsbürgerliche.
Um Staatsbürger zu werden, war bislang ein emiratischer Vater notwendig. Schon für emiratische Mütter war der Erhalt der Staatsbürgerschaft für ihre Kinder eine administrative Herausforderung, wenn sie mit einem ausländischen Staatsbürger verheiratet sind. Basierend auf den strengen Visa-Regelungen kam es bisher dazu, dass selbst hochqualifizierte Expats kaum an Familienzusammenführung denken konnten, da ihr Visum alle zwei oder drei Jahre verlängert werden musste.
Das änderte sich Anfang 2021, als Scheich Mohammed bin Raschid al-Maktum, Herrscher von Dubai, verkündete, dass auch Expats in Zukunft Emiratis werden können. Dieses gilt allerdings nur für die happy few des globalen Jetsets, also für Unternehmer und Investoren, nicht für die Millionen Arbeitsmigranten, die tagtäglich das emiratische Wirtschaftswunder am Leben halten.
Xposure, eine Ausstellung von Weltniveau
Samir steuert den Wagen auf das neue Ausstellungsgelände von Aljada, einem urbanen Entwicklungsprojekt, welches hypermoderne Wohn-und Bürobauten beherbergt, ebenso wie ausufernde Grünanlagen und gastronomische Einrichtungen.
“Vor Kurzem war hier nur Wüste", berichtet Samir. Es ist auch nach all den Jahren immer wieder beeindruckend, wie schnell sich die Dinge hier in den Emiraten entwickeln", räumt er ein. The Xposure internatonal Photography Festival findet dort dieser Tage statt, eine der größten Austellungen zum Thema Fotographie und Fotojournalismus, flankiert von 300 Veranstaltungen zu dem Themengebiet visual storytellers.
Tariq Saeed Allay, der Leiter des Festival-Managements, welches vom Büro für Regierungsmedien der Regierung von Sharjah organisiert wird, legt wert auf die Feststellung, dass sich das Emirat zu einem dynamischen Standort für visuelle Erzählungen etabliert hat. Auf der Xposure ist auch Salim Amin vertreten, der die Werke seines Vaters ausstellt, des legendären Foto-Journalisten Mohamed Amin, dessen Bilder über die Hungersnot in Äthiopien 1984 eine weltweite Hilfsbereitschaft auslösten, die hunderttausenden Menschen das Leben rettete.
BRICS-Mitgliedschaft unterstreicht geopolitische Positionen
"Wir sind seit Anfang 2024 Mitglied der BRICS-Staatengruppe, was die geopolitischen Ambitionen unseres Landes unterstreicht", erklärt Malik vom Büro für Regierungsmedien. "Natürlich soll dieses dazu beitragen, ein stärkeres Gegengewicht zur Dominanz des Westens zu schaffen. Die erweiterte Allianz wird nun 37 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und 46 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Für die VAE ist der Beitritt nicht zuletzt aufgrund ihrer günstigen geostrategischen Lage und wirtschaftlichen Rolle als Drehkreuz im internationalen Warenhandel attraktiv", führt er weiter aus. Der 35jährige Malik, der eigentlich gerne Diplomat geworden wäre, legt aber Wert auf die Feststellung, dass die Emirate zunehmend in Veranstaltungen wie diese investieren, damit Kunst und Kultur auch zukünftig mit den Emiraten assoziiert werden können.
Mit modernen Häfen, einem entwickelten Finanzsektor und einem liberalen Steuersystem (die in der Region selten sind) haben sich die Emirate als ein Akteur im internationalen Geschäftsumfeld positioniert, dessen Bedeutung stark gewachsen ist. Innerhalb des BRICS+ Bündnisses könnten die Emirate als Brückenkopf für Handel und Investitionen im Nahen und Mittleren Osten dienen.
Stärkerer Einfluss im Nahen Osten
Die VAE sind darum bemüht, die Wirtschaft zu diversifizieren und vom Öl wegzukommen. Investitionen in Technologie, erneuerbare Energien, Kultur und Tourismus könnten den BRICS-Ländern als Modell für wirtschaftliche Resilienz und Diversifikation dienen. Der Beitritt der Emirate wird dem Bündnis einen weiteren Impuls in Richtung einer gemischten und robusten Wirtschaftsstruktur geben", erklärte der Außenminister der VAE, Scheich Abdullah bin Zayed bin Sultan Al Nahyan, in einem Interview mit lokalen Zeitungen. Zusätzlich könnte der geopolitische Einfluss der VAE dem Bündnis zu einem stärkeren Einfluss im Nahen Osten verhelfen.
"Ich wünschte, Kenya wäre auch Mitglied der BRICS-Staatengruppe", sagt Mary, die aus Nairobi stammt und seit 5 Jahren in den Emiraten lebt. "Eigentlich bin ich Krankenschwester, aber momentan erscheint die Tätigkeit als Hostess auf Ausstellungen lukrativer." Ihr Kollege Ben, der für die Security auf der Xposure zuständig ist, ein 28-jährigerÄthiopier der vor 4 Jahren an den Golf zog, meint diesbezüglich: "Es wäre großartig, wenn die Mitgliedschaft in einem BRICS-Staat auch Rechte garantiert, wie bei Euch die EU, aber davon sind wir noch weit entfernt."
Ben bietet an, ihn nach Feierabend zu seinem Wohnort zu begleiten."Dort lernen Sie die richtigen Emirate kennen, die Welt der Migranten und der Einheimischen ohne viel Geld." Gesagt, getan. Ben und drei seiner Kollegen haben sich in ein Taxi gezwängt. Es geht in Richtung Rolla, dem historischen Herzen des Emirates Sharjah.
Rolla, das Herzen von Sharjah
Das Taxi drängt sich durch den dichten Feierabendverkehr. An den Ufern des Persischen Golfs ziehen glitzernde Skylines Geschäftsleute und Touristen aus aller Welt an. Hochhaustürme von Star-Architekten, Inseln von der Form von Palmenblättern, schneeweiße Sandstrände. Die Föderation aus sieben Emiraten ist zum Synonym für märchenhaften Reichtum aufgestiegen, gilt als extrem wohlhabend, vor allem als stabiler Staat in einer Region von geopolitischen Feuerherden.
In Rolla, dem historischen Herzen von Sharjah, ist nicht viel von dem überschäumenden Luxus zu spüren, der in Dubai und andernorts allgegenwärtig scheint. Hier leben die Einwanderer, größtenteils vom indischen Subkontinent, aber auch aus Afrika, neben Emiratis, deren Lebensumstände bescheiden geblieben sind. Geschäfte und Restaurants, wie man sie in Delhi, Islamabad und Dhaka antreffen würde, reihen sich hier entlang der Straßen, die nicht mit Gold gepflastert sind.
Fahad, genießt einen türkischen Kaffee in einem Restaurant. Der gebürtige Emirati war 21, als Großbritannien die Emirate am 2. Dezember 1971 in die Unabhängigkeit entließ und sich die Herrscher von sieben Scheichtümern zu einer Föderation zusammenschlossen.
Damals bestand das Staatsgebiet aus Wüste, während sich an der Küste kleine Fischerdörfer befanden und die Perlenfischerei den bescheidenen Lebensunterhalt garantierte. "Ja, manchmal sehne ich mich nach der Welt meiner Kindheit und Jugend zurück.", bekennt der ehemalige Schuster. "Wir lebten damals im Paradies, unter uns, nach den Gesetzen Allahs. Aber heute, das ist unser Schicksal - Inshallah - werden wir zu einer Führungsmacht in der arabischen Welt.”
