Architekten der Zukunft
Bringt Brasilien die BRICS entscheidend voran? Es sieht vielversprechend aus
Unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit fand in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia das große Auftakttreffen zur BRICS-Präsidentschaft 2025 statt. Während in Deutschland die Nachwehen der Bundestagswahl die Schlagzeilen beherrschen und in Europa der faktische Rückzug der USA aus dem NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine für Orientierungslosigkeit sorgt, skizzieren die BRICS ihre Zukunftsagenda. Das erste Treffen der BRICS-Sherpas unter dem Vorsitz des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, Außenminister Mauro Vieira und dem Botschafter und BRICS-Sherpa Brasiliens Mauricio Lyrio brachte einen Konsens der 11 BRICS-Länder und ihrer zahlreichen Partnerstaaten, dass die Interessen der Entwicklungsländer und des globalen Südens die Richtung vorgeben müssen und werden. Das heißt nicht Global South First, sondern das heißt, unter dem Dach der Vereinten Nationen eine internationale Ordnung zu schaffen, die nicht mehr einseitig und unilateral den stärksten Mächten des Nordens ihre Gewinne zuschanzt und deren Privilegien untermauert, sondern die in der Lage ist, eine wirkliche und dauerhafte Gleichrangigkeit aller Akteure der globalen Gemeinschaft herzustellen. Sobald der Westen seine derzeit äußerst missliche Lage erkennt und einsichtig wird, wird auch er diese einfache Wahrheit begreifen.
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Gastgeber Präsident Lula formulierte die Ausrichtung und die Ziele der BRICS unter der Führung Brasiliens. „Die brasilianische Präsidentschaft wird die Berufung der Gruppe als Raum der Vielfalt und des Dialogs zugunsten einer multipolaren Welt und weniger asymmetrischer Beziehungen stärken“, sagte er zu Beginn seiner Rede. Der Konflikt in der Ukraine und die Krise in Gaza könnten nur auf multilateraler Ebene gelöst werden. Eine Reform der multilateralen Friedens- und Sicherheitsarchitektur sei unerlässlich. Schwellenländer müssten angemessen an der Governance der Weltgemeinschaft beteiligt werden. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur. Armut und mangelnder Zugang zu Gesundheitseinrichtungen würden 1,7 Milliarden Menschen benachteiligen und sie Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria aussetzen. Die Verbesserung des internationalen Währungs- und Finanzsystems ist eine weitere wesentliche Säule der BRICS. Brasilien werde sich für eine transparente, zugängliche und sichere Zahlungsplattform einsetzen. Auch bei Technologien wie künstlicher Intelligenz könne man nicht zulassen, dass der globale Süden an den Rand gedrängt werde. Deshalb habe man als Thema der brasilianischen BRICS-Präsidentschaft gewählt: „Stärkung der Zusammenarbeit im globalen Süden für eine inklusive und nachhaltige Weltordnung“.
Brasilien übernimmt BRICS-Vorsitz
Der brasilianische BRICS-Sherpa, Botschafter Mauricio Lyrio, wandte sich in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit und hieß erneut die 11 Mitgliedsländer und 8 eingeladene Partnerländer in Brasilia willkommen. Zur Erklärung des Wortes Sherpa: Ein Sherpa ist der Vertreter eines Staats- oder Regierungschefs, der mit der Vorbereitung globaler Gipfeltreffen betraut ist. Im Falle des BRICS-Gipfels sind die Sherpas der wichtigste Kommunikationskanal zwischen den Ländern. Sie diskutieren den BRICS-Aktionsplan und die Prioritäten der Gruppe. Folgende Prioritäten wurden jetzt vereinbart: Zusammenarbeit in den Bereichen Gesundheit, Handel, Investitionen und Finanzen, Klimawandel, Regulierung von künstlicher Intelligenz, Reform der multilateralen Sicherheitsarchitektur und institutionelle Entwicklung innerhalb der BRICS. Auch die Rolle der New Development Bank (NDB) und des Contingent Reserve Arrangement (CRA) hätten im Zentrum der Diskussion gestanden. Die BRICS-Entwicklungsbank sei, so Lyrio, “sehr wichtig für die Finanzierung von Infrastruktur in weiten Bereichen, was das Haupttätigkeitsfeld der in NDB ist“ und agiere für den „Abschluss eines Abkommens über Handelsbilanzzahlungen, von dem alle Teilnehmer profitieren“. Neben den Sherpas aus den 11 Mitgliedsländern waren auch Vertreter aus Belarus, Bolivien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand und Usbekistan anwesend.
Unter der brasilianischen Präsidentschaft soll auch ein neuer Wirtschaftsplan erarbeitet werden, der “an die aktuellen globalen Herausforderungen” angepasst ist und sich somit gegen jeglichen Unipolarismus und Bestrebungen zur Aufrechterhaltung oder gar Festigung der aktuellen ungerechten Verhältnisse richtet. Entscheidend sei es, die Zusammenarbeit zu stärken und die Wachstumschancen zwischen den Mitgliedsstaaten zu erweitern. Hier war es vor allem der brasilianische Außenminister Mauro Vieira, der sein Gewicht in die Waagschale warf. „Wir sind in einem entscheidenden Moment zusammengekommen, in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen, in der die Prinzipien des Multilateralismus und der Zusammenarbeit durch Krisen auf die Probe gestellt werden, die ein dringendes und kollektives Handeln erfordern“. Vieira betonte: „Die multipolare Welt ist nicht nur eine entstehende Realität - sie ist eine gemeinsame Vision. Ein globales System mit einem neuen Gleichgewicht muss auf gerechte Teilhabe gegründet sein, und dieses Fundament kann nicht ohne die Stimmen der BRICS errichtet werden“.
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Besondere Aufmerksamkeit verdient der Sonderberater von Präsident Lula da Silva, der ehemalige Außenminister und UN-Botschafter Celso Amorim. Er spielt eine wichtige Rolle als strategischer Visionär nicht nur für die nationale brasilianische Präsidentschaft, sondern auch im Kontext der neuen multilateralen BRICS-Vision. Amorim gab ein richtungsweisendes Interview mit dem Sender BRICS TV, das auf der eigens für die brasilianische BRICS-Präsidentschaft eingerichteten Website brics.br veröffentlicht wurde. Er erzählt, wie er als damaliger Außenminister Anfang der 2000er Jahre seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow traf, der anregte, ein BRICS-Forum ins Leben zu rufen. Lawrow und Amorim waren also seinerzeit federführend an der Gründung der BRICS beteiligt. Sie organisierte dann ihr erstes Ministertreffen und schließlich den ersten Gipfel auf Ebene der Staatschefs im Jahr 2009 in der russischen Stadt Jekaterinburg. Es ging um die Zusammenarbeit der großen Entwicklungsländer in den Bereichen Energie, Finanzsystem, Sicherheitsordnung. Amorim erklärt: „Das ist sehr wichtig, denn es hat gezeigt, dass die großen westlichen kapitalistischen Länder uns nicht die Regeln diktieren können. Wenn sie Initiativen haben, können sie diese präsentieren, aber sie müssen sie mit uns diskutieren."
Auf die Frage, wie die BRICS zur Stärkung des globalen Südens beitragen können, betont Botschafter Amorim: „Mit den BRICS sind wir nicht von einem einzigen Land oder einer Gruppe von Ländern abhängig [...] Ich denke, wenn wir uns vollständig öffnen würden, würden fast alle Entwicklungsländer den BRICS beitreten. Das zeigt, wie wichtig diese Gruppe ist." Präsident Lula sei ein aktiver Pazifist. Auf seine Bitte hin sei Amorim sowohl in die Ukraine als auch nach Russland gereist. Amorim war auch an der Gründung der chinesisch-brasilianischen “Gruppe der Freunde des Friedens” am Rande der UN-Generalversammlung beteiligt. Auf die Frage nach der Bedeutung der BRICS für Brasilien und die Welt, insbesondere in einer Zeit großer globaler Unsicherheiten, antwortete der langjährige Diplomat: „Meine Botschaft ist, dass die BRICS eine Gruppe von Entwicklungsländern sind, die Wohlstand, aber auch Frieden wollen. Ich meine, dass die Welt, in der wir heute leben, vor allem auf der Suche nach Frieden ist. Ich glaube, es war Papst Paul VI, der sagte: ‚Entwicklung ist der neue Name für Frieden‘. Nun, BRICS ist der neue Name für Entwicklung."
Lateinamerika zieht es nach China
In einer Analyse der brasilianischen G20- und BRICS-Präsidentschaft schreibt Marco Fernandez auf der Website des Valdai-Club Think Tanks, Brasilien gehöre zu den stärksten Befürwortern eines unabhängigen Finanzsystems, das dem globalen Süden nütze. Nicht zuletzt die Rede von Luna da Silva bei der Amtseinführung von Dilma Rousseff als Chefin der BRICS Entwicklungsbank im April 2023 habe dies verdeutlicht. Lula habe emphatisch gefragt, warum Länder auf der ganzen Welt immer noch den Dollar für ihre Handelsgeschäfte nehmen müssten. Dieses Thema ist natürlich das heißeste Eisen, das man anfassen kann. Russland hatte während seiner BRICS-Präsidentschaft 2024 offensichtlich etwas Tempo aus dem Thema genommen. Laut Fernandez muss es hinter den Kulissen viel Druck des kollektiven Westens auf Brasilien gegeben haben, diese Position nicht mit aller Kraft zu verfolgen. Und wie es der Zufall will, erschien am 28. Februar dieses Jahres in der Washington sehr nahestehenden Zeitung Folha de S. Paulo ein ziemlich merkwürdiger Angriff auf Dilma Rousseff. Sie wird für ihr Management kritisiert und für die Verzögerungen bei der Kreditvergabe verantwortlich gemacht. Die Kritik scheint jedenfalls nicht sehr konstruktiv zu sein, sondern sich vielmehr auf die Person Rousseff zu beziehen. Trotz dieser Komplikationen: Die Agenda des nächsten BRICS-Gipfels Anfang Juli in Rio de Janeiro klingt vielversprechend. Armutsbekämpfung, eine für alle zugängliche Gesundheitsversorgung, faire Teilhabe am Multilateralismus, technologische Innovation, mehr Handel und gerechtere Finanzen. Wie der brasilianische Außenminister Vieira bei der Eröffnung sagte, sind die Entwicklungsländer keineswegs nur Zuschauer, sondern "aktive Architekten der Zukunft".
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